Stiftung Juvente

45 Jahre Kinderhaus - Kann man im Kinderhaus groß werden?

Kann man im Kinderhaus groß werden?

Diese Frage wird häufig gestellt, wenn man Außenstehenden das Konzept Kinderhaus erklärt. Ebenso oft hört man sie vom Jugendamt, bei den sogenannten Aufnahmegesprächen. Eher selten fragen die Kinder und ihre Familien danach. Hier ist der Wunsch häufig groß, möglichst bald wieder zusammenleben zu können. Auch wenn dies das große Ziel aller Beteiligten ist, nicht immer ist eine Rückkehr in den Haushalt der Eltern möglich.

Nicht nur deshalb lautet die Antwort: Klar, kann man im Kinderhaus groß werden! Das Kinderhaus versteht sich als Zuhause auf Zeit und zu Hause wird man groß. Bestes Beispiel: P. (15), ihre große Schwester G. (18) und ihr mittlerweile "Bruder im Geiste", R. (15). Alle drei kamen vor 10 Jahren ins Kinderhaus. P. und R. gingen da noch in den Kindergarten.

Jetzt sind sie groß und feiern, wie sie es selbst nennen, ihr zehnjähriges Jubiläum.

Bei G. hätte es beinahe nicht geklappt. Das Jugendamt sah auf Grund ihrer Volljährigkeit keinen Grund mehr für einen Verbleib in einem Kinderhaus. Mitten in ihren Abiturprüfungen sollte der Auszug erfolgen. Auf eigenen Wunsch, mit Unterstützung der Mitarbeitenden und dank einer verständnisvollen Sachbearbeiterin aus dem Jugendamt, konnte sie noch bleiben. Nach ihren Prüfungen im März beginnt für sie ein neuer Lebensabschnitt. Biographisch und nicht bürokratisch. Und es ist klar, die Besuchertüre steht ihr immer offen, denn das Kinderhaus ist ihr Zuhause geworden.

Mit den Kindern zusammen feiert auch ihr Betreuer Jan sein Kinderhausjubiläum. Vor 15 Jahren startete er nach dem Studium, im frisch eröffneten Kinderhaus 4, ins Berufsleben. Man kann im Kinderhaus also auch alt werden.

3x 10+15 Jahre geballte Kinderhauserfahrung.

Und so begaben sich die Jubilare in ein mexikanisches Restaurant in Mainz. Schnell fand man sich in einer Anekdotensammlung wieder. Es ist erstaunlich, was die Jugend noch weiß und das Alter schon vergessen hat. Sie erinnern sich noch genau an ihren Einzug ins Kinderhaus. Sie wissen wer im Dienst war, was es zu essen gab, welches Willkommensgeschenk in ihrem Zimmer lag, die Farbe der Bettwäsche…. In den Erzählungen wird deutlich, wie prägend dieser Tag für sie war. Sie erinnern sich an alle Mitarbeitenden und Kinder, die in den vergangenen zehn Jahren gekommen und wieder gegangen sind, an jedes Weihnachtsfest und was sie von ihren Kontaktbetreuer:innen zu ihren Geburtstagen bekommen haben. Aber auch an jeden Schabernack. Einiges davon hätte der Betreuer lieber nicht gehört. Aber wie war das mit der Vergesslichkeit ; )

Man spürt wie verbunden die Kinder mit einem Ort sind, für den sie sich nicht selbst entschieden haben. Aus den Kindern sind nun Jugendliche und eine junge Erwachsene geworden. Dass an diesem Abend nicht über die schwierigen Zeiten, die Rück- und Tiefschläge, die Tränen und unerfüllten Wünsche gesprochen wird, ist sicherlich der guten Stimmung geschuldet. Hier sollen sie aber nicht unerwähnt bleiben. Am Ende einer Zeitreise gehen die Jubilare wohlgenährt nach Hause. P., G., R. ins Kinderhaus, Jan zu Frau und Katze. Auch das ist groß werden im Kinderhaus. Aber ist es nicht schön, dass die „Kinder“ den Weg jetzt selbständig bestreiten können?

nach oben
nach oben